Jede sinnvolle Forschungsreise beginnt mit einer guten Frage. Manchmal ist diese Frage ein stiller Akt der Rebellion. Ein Beitrag von Belle Leung und Jacinta Gorchs.
Als Professor Aaron Antonovsky, der Begründer des Gesundheitsmodells der Salutogenese, im Schatten von Krieg und Not aufwuchs, gab er sich nicht mit der Frage zufrieden: «What makes people sick?» (Was macht Menschen krank?).
Er drehte die Frage statt dessen um in: «What enables people to stay well, even in the face of chronic stress or trauma?» (Was ermöglicht dem Menschen, gesund zu bleiben, selbst angesichts von chronischem Stress oder Trauma?)
Diese Frage ergab sich zum Teil aus seinen Begegnungen mit Überlebenden des Holocausts, von denen viele trotz aller Widrigkeiten ein erfülltes, widerstandsfähiges Leben führten (Antonovsky, 1987). Wie war es möglich, dass manche Menschen solch extreme Bedingungen ertragen und dennoch ihre geistige und körperliche Gesundheit bewahren konnten?
Seine Antwort war: «Life is inherently full of stressors» (das Leben besteht von Natur aus aus vielen Stressfaktoren), – aber das bedeute nicht, dass der Stress selbst schuld sei. Es komme vielmehr darauf an, wie wir ihn bewältigen und auf welche inneren und äusseren Ressourcen wir zurückgreifen würden, um das Leben zu meistern. Antonovskys Erkenntnis war nicht nur eine gesundheitliche Revolution – sie wurde zu einem Rahmen für das Leben. Seine kulturübergreifende Forschung legte den Grundstein für zwei Kernkonzepte: der Kohärensinn (Sense of Coherence, SOC) und die allgemeinen Widerstandsressourcen (General Resistance Resources, GRRs).
Der SOC setzt sich aus drei Hauptkomponenten zusammen:
Die allgemeinen Widerstandsressourcen (GRRs) stellen die Ressourcen dar, auf die wir uns auf individueller, familiärer, gesellschaftlicher und kultureller Ebene verlassen können.
Dazu gehören:
Lernen als gesundheitsfördernder Prozess
Die Forschung zeigt, dass Bildung, wenn sie gut durchgeführt wird, aktiv die Gesundheit fördern - und nicht nur über sie lehren kann (Nilsson & Lindström, 1998). Schulen, die den Schwerpunkt auf sinnvolles Lernen, unterstützende Beziehungen und klare Strukturen legen, tragen zur Förderung des Wohlbefindens bei.
So wird Gesundheit als ein dynamischer, mehrdimensionaler Prozess gesehen – nicht nur körperlich, sondern auch geistig, sozial und spirituell (Langeland et al., 2022). Waldorfpädagogik kann in vielerlei Hinsicht einen sinnvollen Dialog mit Antonovskys breiterer Vision aufbauen und insbesondere die Forschungslücke über die Bedeutung von Spiritualität und Gesundheit schliessen.
Im Jahr 2006 verwies Dr. Michaela Glöckler auf der Kolisko-Konferenz «Erziehung – Gesundheit für das Leben» auf Rudolf Steiners «sieben Bedingungen» einer ethischen Grundhaltung (CW 10), wobei die erste Bedingung: «Man richte sein Augenmerk darauf, die körperliche und geistige Gesundheit zu fördern» (Steiner, 1909), ist. Die sieben Bedingungen sind vor allem für Erzieherinnen und Erzieher relevant, die sich für die körperliche, seelische und geistige Entwicklung der Kinder einsetzen. «Der Pädagoge wird zur Schlüsselfigur moderner Präventivmedizin. Erziehen wird – wie Steiner sagt – zum 'leisen Heilen'», betonte Glöckler an der Tagung.
Das «höchste Bestreben» der Waldorfpädagogik «muss es sein, freie Menschen zu entwickeln, die aus sich selbst heraus ihrem Leben Sinn und Richtung zu geben vermögen» (Steiner, 1927). «Man lernt unterrichten, indem man Geist und Seele in dem Kinde erweckt, man lernt unterrichten so, dass der Unterricht zu gleicher Zeit gesundheitfördernd, wachstumfördernd, gesunde Kraft befördernd für das ganze Leben ist.» (Steiner, 1923)
Die Erforschung dieser Elemente im Waldorfkontext
Die Pilotstudie «Resilienz und Pädagogik» will erforschen, wie Waldorfpädagogik die Resilienz und den Kohärenzsinn der Schüler im Laufe der Zeit unterstützt. Durch langfristige, multikulturelle und mehrsprachige Umfragen und Interviews wollen wir verstehen, wie junge Menschen akademisch, emotional, sozial und spirituell wachsen.
Wir verwenden sowohl quantitative als auch qualitative Methoden. Derzeit haben wir eine Online-Plattform für vergleichende Umfragen entwickelt und zwei wichtige Mess-Skalen eingeführt:
Beide Instrumente wurden bereits umfassend getestet. Die Verwendung dieser gut entwickelten Skalen in der Pilotstudie stärkt nicht nur den akademischen Dialog, sondern fördert auch die kulturübergreifenden Gespräche.
Während wir diese Elemente durch die Pilotstudie erforschen, freuen wir uns, erste Rückmeldungen und Ergebnisse integrieren zu können, um ab 2026 mit der Entwicklung der Waldorf Global Panel Study (GPS) zu beginnen.
Aufruf an Waldorflehrende aus der ganzen Welt
Unsere Umfrage für die Pilotstudie läuft gerade! Wir laden Waldorfpädagogen aus aller Welt – egal ob Sie Klassenlehrerinnen, Tutoren oder in einer anderen unterstützenden Funktion tätig sind – daher herzlich ein, an unserer ersten multikulturellen und mehrsprachigen Umfrage teilzunehmen.
Ihre Erkenntnisse werden uns helfen zu verstehen, wie Erziehung wirklich als Grundlage für Gesundheit, Sinn und Resilienz dienen kann. Wir glauben, dass Resilienz nicht nur eine Eigenschaft ist, sondern etwas, das durch Beziehungen, Rhythmus und Bedeutung wächst. Wir sind gespannt darauf zu erforschen, wie Waldorfpädagogik jungen Menschen helfen kann, sich zu entwickeln.
Referenzen