Das Fundament der Waldorf Steinerschulen ist vor allem die Begeisterung für die Waldorfpädagogik. Doch wie lässt sich diese – gerade in Zeiten des Lehrermangels – wecken? Ein Beitrag von Philipp Reubke.
Es gibt viele Menschen, die sich tagtäglich für Unterricht und Erziehung der kommenden Generationen einsetzen. Millionen Lehrpersonen, Erzieherinnen und Erzieher engagieren sich auf der ganzen Welt professionell für die Kultur und Zivilisation der Zukunft. Sie bereiten die Schätze der heutigen Kultur so zu, dass sie die verborgenen Schätze in den Seelen der Kinder und Jugendlichen aufwecken: ihre Wünsche, Fähigkeiten und Projekte für die Welt von morgen.
Es gibt aber viel zu wenige: «Deutschland hat ein Problem mit seinen Lehrerinnen und Lehrern: Es gibt schlicht und einfach zu wenige», hiess es in einer deutschen Zeitung.1 In der Schweiz geht das Bundesamt für Statistik davon aus, dass bis 2031 etwa 11'000 Lehrkräfte fehlen. In den USA fehlen Lehrkräfte an 86 Prozent der öffentlichen Schulen.2 Und in Frankreich wurde ein Schulbeginn «unter Hochspannung» angekündigt. Ein noch nie so dagewesener Lehrermangel würde die pädagogische Kontinuität für tausende von Schülerinnen und Schülern gefährden.3
In den Rudolf Steiner- und Waldorfschulen ist die Situation oft noch schwieriger. In Bezug auf die Gehälter können sie in vielen Ländern nicht mit öffentlichen und anderen Privatschulen konkurrieren. Bleibt also vor allen Dingen das Engagement aus Begeisterung für die Waldorfpädagogik. Da diese sich nicht von alleine einstellt, sondern eine anfängliche Kenntnis voraussetzt stellt sich die Frage: Wer lüftet den Schleier des hundertjährigen Dornröschens? Wer zeigt, dass es sich um eine junge Dame handelt, deren Bekanntschaft schon Begeisterung entzündet?
Dies ist eine herausfordernde Aufgabe waldorfpädagogischer Ausbildungsstätten. Gerade sie sind es, die kommunizieren können, dass Waldorfpädagogik für die Welt von heute relevant ist. Durch Studium der anthroposophischen Menschenkunde, durch die Übung künstlerischer Fähigkeiten, durch Verstärkung der Beobachtungsfähigkeit kann ein viel grösseres Verständnis für die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen von heute erworben werden. Die Quellen eigener pädagogischer Kreativität können erschlossen werden, wenn man etwas Zeit für das Studium investiert. Wo, wenn nicht in Seminaren und pädagogischen Ausbildungsstätten kann das erfahren werden?
Um in einer Zeit des allgemeinen Erzieher- und Lehrermangels Menschen für die pädagogischen Berufe zu begeistern, müssen die Ausbildungen unterstützt und weiterentwickelt werden. Gerade heute ist wichtig eine gute Zusammenarbeit unter Seminaren und Ausbildungsstätten zu pflegen und ihre Zusammenarbeit mit den Waldorflandesvereinigungen zu intensivieren.
Auch die Pädagogische Sektion am Goetheanum, der Haager Kreis (Internationale Konferenz für Steiner Waldorf Pädagogik) und die IASWECE (International Association for Steiner/Waldorf Early Childhood Education) haben das Anliegen, die Qualität und die Dynamik der waldorfpädagogischen Ausbildungsstätten zu unterstützen. In diesem Zusammenhang werden seit einigen Jahren regelmässige Videokonferenzen veranstaltetet, die den Erfahrungsaustausch unter Dozentinnen und Dozenten weltweit anregen möchten (International Teacher Education Forum, ITEF)4.
Eine Broschüre wurde veröffentlicht, die zur Kreativität in der Ausbildungspraxis anregen möchte.5 2024 fand am Goetheanum eine internationale Ausbildertagung statt, in Taiwan und in Südamerika gab es regionale Ausbildertagungen, und im Mai 2026 eine internationale Tagung zum Thema Waldorfkindergarten-Ausbildung. Ausserdem hat der Haager Kreis Richtlinien mit Minimalstandards für Waldorf Ausbildungsstätten veröffentlicht6 und die IASWECE-Richtlinien für die Ausbildung in Steiner/Waldorfpädagogik in den ersten sieben Lebensjahren.7 Auch die vor Kurzem überarbeiteten «Wesentlichen Merkmale/Richtlinien für Waldorfpädagogik»8 beziehungsweise die «Wesentliche Merkmale der Steiner-/Waldorfpädagogik für die ersten sieben Lebensjahre»9 sind wichtige Ressourcen für die Ausbildung.
Alles das sind bescheidene Schritte. Aber wenn die Anregungen aufgegriffen werden und der Erfahrungsaustausch durch Beteiligung von möglichst vielen Dozentinnen und Dozenten intensiviert wird, dann kann durch das gemeinsame Lernen der Lehrenden eine neue Dynamik entstehen. So könnten wieder mehr Studierende den Schleier des Dornröschens lüften…
Fussnoten
1: «Lehrermangel – das Lehren der anderen» («sueddeutschezeitung.de»)
2: Teacher Shortages in the U.S. («teachersoftomorrow.us»)
3: Pénurie des professeurs en France («objectifmaternelle.fr»)
4: International Teacher Education Forum (ITEF)
5: Wege zur Kreativität in der Pädagogik
7: Richtlinien für die Ausbildung in Steiner-/ Waldorfpädagogik für die ersten sieben Lebensjahre (IASWECE)
8: Wesentliche Merkmale/ Richtlinien der Waldorfpädagogik
9: Waldorferziehung in den ersten sieben Lebensjahren (IASWECE)