Constanza Kaliks – Philipp Reubke und die stärkste Kraft in der Erziehung
In zwei spannenden Artikeln umschreiben die Leitenden der Pädagogischen Sektion in «Das Goetheanum», was die Essenz in der Pädagogik ist. Lesen Sie hier einige Auszüge aus der Wochenschrift.
Constanza Kaliks:
«Pädagogik findet stets in einer sehr feinen, sehr sensiblen Gratwanderung statt. Das Kind wird hineingeboren in eine schon vorhandene, schon daseiende Welt: eine gewordene, durch Jahrhunderte, ja Jahrtausende sich konstituierende Wirklichkeit. Und vieles von dem, was ins Klassenzimmer gebracht wird, ist aus diesem entnommen. (...) Die Bewegung zwischen dem Gewordenen und dem noch nie Dagewesenen ist eine Gratwanderung, die sich ständig in der Pädagogik ereignet. (...)
Die Verhältnisse zwischen leiblicher, seelischer und individueller Instanz sind im ständigen Werden. Es gilt, die Möglichkeit des Wahrnehmens zu schulen, zu erweitern, die Aufmerksamkeit auf das Werdende lenken zu lernen. Sodass das Kind erfahren kann: Es wird erkannt in seiner Selbstheit, es kann sich verstehend in die Welt einbringen. Es ist willkommen! Es wird gesehen, es darf die Erde und die Welt sehen, verstehen, lieben lernen. (...)
In einem viel zitierten, sehr aussagekräftigen Text schreibt Hannah Arendt zur Erziehung: 'Bildung ist der Punkt, an dem wir entscheiden, ob wir die Welt genug lieben, um Verantwortung für sie zu übernehmen und sie so vor dem Untergang zu bewahren, der ohne die Erneuerung und das Kommen des Neuen und Jungen unvermeidlich wäre. (...)'»
Philipp Reubke:
«Es gehörte zu Steiners zentralen Ideen, dass das Kind nicht als leeres Blatt geboren wird, nicht nur als körperlicher Organismus, sondern auch als geistig-seelische Individualität, die Existenzformen in einer nicht raumzeitlichen Dimension und vergangene Erdenleben durchgemacht hat. (...)
Niemals könne aus einer wissenschaftlichen Position, aus einer Theorie, aus einem Gedanken eine zwingende Handlungsmaxime automatisch abgeleitet werden. Wenn das geschehe, könne die Besonderheit des Kindes oder meine Besonderheit auf dem Weg der Selbsterziehung nicht berücksichtigt werden. (...)
Erziehung ist keine direkte Umsetzung von Wissenschaft. Erziehung lebt von lebendiger, liebevoller Beziehung. Die Beziehung wird gefördert, wenn ich den anderen ein bisschen verstehe, aber auch, wenn ich ihn nicht verstehe, er ein Geheimnis ist, eine Überraschung sein kann. Aber wenn ich ihn verstehe und sein Verhalten voraussagen könnte wie das Funktionieren einer Maschine, ist es das Ende der Beziehung und damit das Ende des Erziehungsprozesses. (...) Unsere Meinung, dass wir das andere kennen, ist das Ende der Liebe.»
Den ganzen Beitrag «Die praktische Liebe» lesen Sie hier in «Das Goetheanum», Wochenschrift für Anthroposophie