Wie kann ich so erziehen und unterrichten, dass ich gleichzeitig beobachte, wie die Kinder und Jugendlichen lernen? Dass ich bemerke, wie sie sich entwickeln, durch das, was ich gebracht habe? Wie kann ich aus den Beobachtungen Schlussfolgerungen ziehen und Begriffe bilden, aus denen ich für meine Praxis etwas lerne? Ein Beitrag von Philipp Reubke.
Wer ein so kräftiges waldorfpädagogisches Ethos kultiviert und gleichzeitig zufälligerweise eine von Europa weit entfernte kleine Insel im Pazifik bewohnt, findet vor Ort Unterstützung: sie oder er kann sich der Arbeitsgruppe «Praxisforschung für Waldorfpädagogen» anschliessen. Begleitet durch mehrere Universitätsdozenten finden die Teilnehmer dort nicht nur eigene Ressourcen für die Weiterentwicklung der Waldorfpädagogik, sondern auch noch Anschluss an aktuelle Diskussionen in der Erziehungswissenschaft.
Wer eine grundständige Ausbildung in Waldorfpädagogik, berufsbegleitend oder in Vollzeit, machen möchte, hat die Wahl zwischen vier Ausbildungsstätten. Wer schon einen Bachelor hat, kann auch einen Masterstudiengang in Waldorfpädagogik an einer Universität absolvieren. Wer sich in einer der 29 staatlich anerkannten Waldorfschulen oder 25 Kindergärten engagiert hat und dabei wirtschaftlich gut auskommt, kann dann mehrere Fortbildungsmöglichkeiten nutzen: im Sommer die fünftägigen Fachkurse zur Vorbereitung auf das nächste Schuljahr, die Waldorfjahrestagungen der Kindergärten und Schulen und die pädagogischen Konferenzen in den Einrichtungen, in denen Forschungs- und Studienarbeit gemacht wird.
Taiwan ist ein Paradies der Waldorfpädagogik. Es ist eine 394 km lange und maximal 144 km breite Insel mit knapp 24 Millionen Einwohnern mit chinesischen Tempeln, buddhistischen Klöstern, ein paar christlichen Kirchen, riesigen hochmodernen Städten und Industriekomplexen. Hinzu kommen fast 4000 m hohe Berge und eine Waldorfbewegung, die fabelhaft zusammenarbeitet und gut mit den lokalen sowie überregionalen Administrationen vernetzt ist. Taiwan ist eine Insel mit friedlich gelebter kultureller Vielfalt, aber fragilem politischen Status.
Die Verbände der Waldorfschulen und der Waldorfkindergärten haben dort zusammen mit den Ausbildungszentren vor kurzem eine waldorfpädagogische Ausbildertagung durchgeführt. Unterstützt wurde das Vorhaben durch die «Anthroposphy Education Foundation», welche die Entwicklung der Waldorfpädagogik seit über zwanzig Jahren unterstützt. Etwa vierzig Dozentinnen und Dozenten aus den Philippinen, Malaysia, Japan, Neuseeland und von den vier Ausbildungszentren in Taiwan nahmen daran teil.
Es gab Vorträge von Constanza Kaliks, Chun-Shu Chang, Hornfay Cherng, Kai Iruma und Philipp Reubke zu Methoden und Inhalten einer zeit- und ortsgemässen pädagogischen Ausbildung sowie einen regen Erfahrungsaustausch.
Aphoristisches aus der Erinnerung an die Vorträge:
«Die Menschenkunde ist eine Hilfe, das Phänomen zu sehen: das Kind.» (Constanza Kaliks)
«Beziehung, Beziehungsfähigkeit: das wichtigste Feld der pädagogischen Ausbildung.» «Erziehung ist normalerweise ein Tool für politische Kontrolle. Wenn aber Eltern, Lehrpersonen und Ausbildner in Freundschaft und im Bemühen um Selbsterziehung und um Einsicht in menschliche Entwicklung zusammen arbeiten, schafft die Erziehung Kräfte, die die Gesellschaft gesund machen.» (Chun-Shu Chang)
«Die Entwicklung von Selbstwirksamkeit ('agency' im Sinne von Michael Tomasello) ist zentral für die Erziehung: Als Kind selbstständig gehen, sprechen und denken lernen, als Lernender und Lehrender in der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft eigenverantwortlich Verantwortung für die eigene Entwicklung und die der Welt übernehmen.» (Kai Iruma)
«Waldorfpädagogik ist nur zum Teil geboren. Sie bedarf des Engagements und der Einsicht von Lehrern und Eltern, um sich voll entfalten zu können – jedes Mal und an jedem Ort auf unterschiedliche Weise.» (Philipp Reubke)
Die Tagung war initiiert durch Teilnehmer der asiatisch-pazifischen Arbeitsgruppe des International Teacher Education Forum (ITEF), eines Netzwerks anthroposophisch pädagogischer Ausbilderinnen und Ausbilder. Wer sich mehr darüber informieren möchte oder gerne an den monatlichen Videokonferenzen teilnehmen würde, findet hier alle nötigen Infos.