Fantasie und klare Haltung stärken

Erstellt von Robert Thomas | |   BLOG Distance Learning
Fantasie im Unterricht ist immer nötig und besonders gefragt ist sie in der jetzigen Ausnahmesituation. Wie kann trotz aller Beschränkung und Polarisierung das Beste im Unterricht versucht werden? Eindrücke von den Steinerschulen in der Schweiz und einem Unterrichtsbesuch in Zürich.

Als im März 2020 die erste Welle der Restriktionen über die Schulen rollte, haben die Steinerschulen in der Schweiz schnell reagiert und versucht, mit der Situation sowohl konform wie kreativ umzugehen. Einzelne Schulen und/oder einzelne LehrerInnen haben Natur-Projekte entwickelt und mit der Elternschaft intensiv den Kontakt gepflegt: daraus sind im Frühling eine ganze Reihe von Initiativen in den Klassen 1- 8 mit und in der Natur entstanden. Die Schulgemeinschaft ist näher zusammengerückt.

Fantasie war gefragt; die Ausnahmesituation war hierfür gegeben, sie forderte neue Wege, um den Unterricht zu beleben trotz Entfernung und technologischen Surrogaten. Durch Schulbesuche konnte ich feststellen, wie die meisten Lehrkräfte verantwortungsvoll und engagiert die pädagogische Herausforderung wahrgenommen und gemeistert haben.

Mit der zweiten Welle ist die Lage komplizierter geworden; die Erfahrungen von März/April sind nun Vergangenheit und können nicht wiederholt werden. Eine gewisse Müdigkeit in den Schulen (Elternschaft/Lehrerschaft) ist zu spüren; nochmals Einschränkungen, nochmals Masken tragen, nochmals Sozial-Distanzierung, nochmals neu organisieren, nochmals von Statistiken berieselt werden, nochmals "Angst-haben-müssen". In den oberen Klassen ist es erstaunlich, wie flexibel die Jugendlichen sind und wie schnell sie mit der neuen Situation im Unterricht umgehen. Eine 8. Klasse im Kanton Zürich geht seit Wochen täglich nach dem Hauptunterricht ¾ Stunden mit einem Lehrer joggen, um anschliessend die Fachstunden mit Masken erträglicher zu machen. In der 11. Klasse sind zwei Schüler positiv getestet worden und mussten in Quarantäne gehen; die Kameraden blieben aber online und versuchten, die "Isolation" zu durchbrechen, so dass die Abwesenden erstaunlich viel mehr vom Mathe-Unterricht mitbekamen als wenn sie dabei gewesen wären!

Wie die heutigen Lehrkräfte täglich trotz allem unterrichten und versuchen, das Beste zu tun ist sehr beeindruckend: Danke!

Eine erste – etwas pauschale - Beobachtung zeigt, dass vielleicht ein Drittel der SchülerInnen mit  diesen Umständen relativ gut umgehen können aber Zweidrittel stark beeinträchtigt sind; sie werden ganz sicher mittel- und langfristig mit grösseren Defiziten in ihrer Entwicklung konfrontiert werden.

Eine andere Beobachtung ist auch beunruhigend: eine Art Polarisierung sowohl in der Elternschaft und Kollegien einzelner Schulen über die Interpretation der Massnahmen, pro und kontra (zu viel oder zu wenig) findet statt; wenn diese berechtigten Stellungnahmen aber zum Dogma führen ist der Dialog erschwert. Dort findet sich eine wichtige Herausforderung unserer Schulen: die Bereitschaft zuzuhören sowie eine klare, eindeutige Haltung. Das Wohl (Leib, Seele und Geist) der SchülerInnen als oberste Priorität zu betrachten soll das Mass aller Dinge bleiben; gesunder Menschenverstand ist gefragt.

Es ist anzunehmen, dass die wirtschaftlichen Konsequenzen für Schulen in freier Trägerschaft ohne staatliche Subventionen in der Schweiz mit der Zeit gravierend werden.

Während der Krise über eine Krise zu sprechen ist nicht immer sinnvoll, es fehlt uns noch die Distanz dazu. Die Lektüre des Aufsatzes des amerikanischen Autors Charles Eisenstein "Die Krönung" ist meines Erachtens in dieser merk-würdigen Zeit der Getrenntheit zu empfehlen.

Robert Thomas, Vorstand Steinerschule Schweiz

von der Webseite Rudolf Steiner Schulen Schweiz