Neu-Besinnung auf Schule und Unterricht
Internationaler Austausch unter Mittelstufen-KollegInnen über den Unterricht in der Corona-Zeit
An diesem Gespräch nahmen teil: Michal Ben Shalom/Israel; Gabor Kulcsar/Ungarn; James Pewtherer/USA; Claus-Peter Röh/Schweiz; Helena Sandell/Finnland; Ola Vauge/Schweden
Schon in der ersten Runde des Online-Gespräches über die pädagogischen Erfahrungen während des Lock-Downs taucht das Wort der Neu-Besinnung mehrfach auf: «I have to rethink my work in school now.»
Am Anfang steht die Frage nach dem Online-Unterricht: In einer 8. Klasse kann das geplante Theaterspiel der Reglementierungen wegen nicht durchgeführt werden. Nun heisst es «umschmelzen» und es folgt eine Biologie-Epoche mit Fern-Einführungen und Aufgabenstellungen. Bald zeigt sich, dass die Schüler und Schülerinnen sehr unterschiedlich mit den übermittelten Wochenplänen umgehen. Ohne die anregende Gemeinschafts-Situation im Klassenraum sind es für manche Schüler die helfenden Eltern, die mit ihren Kindern Wege und Rhythmen der Arbeit entwickeln. Die seelischen Erfahrungen dabei sind sehr unterschiedlich: Einerseits gilt es dort, wo mehrere Fächer online unterrichtet werden, eine Fülle von gedanklichen Inhalten aufzunehmen und zu bewegen. Andererseits beschreiben viele Schülerinnen und Schüler nach dem Alles-ist-mal-anders-Beginn eine wachsende Sehnsucht nach der Klassengemeinschaft.
Übereinstimmend zeigte sich in diesem Austausch die Erfahrung auf Schüler- wie auf Lehrer- und Elternseite, dass ein längerer Online-Screen-Unterricht in seiner Betonung der Kopf-bezogenen Qualität des Gedanklichen zu deutlichen Ermüdungserscheinungen führt. Bestätigt wurde dabei das Erleben, dass besonders beim E-Learning die Gefahr gross ist, durch die Vielheit der einzelnen Inhalte zu einer Fragmentierung oder Vereinzelung der Themen zu kommen. In der Folge davon wurde als Impuls zur Neu-Besinnung das Aufwachen für die Bedeutung des ganzheitlichen Zusammenhangs beschrieben: Wie können verbindende Wechselbezüge im einzelnen Unterricht entstehen? Und wie können fächerübergreifende Zusammenhänge das Lernen in Vernetzungen und Sinnbezügen stärken?
Eine Erfahrung vieler Eltern regte zu einer weiteren Neu-Besinnung an: Besonders den jüngeren Schulkindern tat die unerwartete Ruhe von längeren, nicht «durchgetakteten» Tages- und Wochenzeiten sichtlich gut. Plötzlich war eine andere Zeit-Qualität anwesend, in der freie, phantasievolle Betätigungen und damit eine innere Balance der Seelenkräfte wieder stärker aufleben konnte. Kann sich die Schule der Post-Corona-Zeit anstatt auf viele Einzelheiten sich mehr auf ein Organisch-Ganzheitlich-Wesentliches richten?
Auch dort, wo für die Kollegien der gewohnte Takt des Schulalltags zu neuen Arten der Zusammenarbeit und zu anderen Stundenplänen umbrach, zeigten sich neue Perspektiven der Wertigkeit: So schilderte eine Lehrerin aus Nord-Europa, dass sie ganz neue Seiten an ihren Kolleginnen und Kollegen kennengelernt habe und ihr das soziale Umgehen miteinander auf neue Weise bewusst geworden sei. Aus dieser Neu-Besinnung auf die Bedeutung des kollegialen Miteinanders für die Schule entwickelt sie nun die Initiative, andere Zeiten und Räume für Begegnungen im Kollegium zu bilden.
Zusammenfassend wurden Fragen der Neu-Besinnung für die folgenden Arbeitsrichtungen in Schule und Unterricht beschrieben:
- nähere Beobachtungen zum Phänomen der Ermüdung und Fragmentierung in der Praxis des Online-Unterrichtes
- Entwicklung einer neuen Wertschätzung der Begegnung von Mensch zu Mensch im Unterricht
- Blick auf die Bedeutung der zusammenhängenden Ganzheit von Inhalten und Zeitabläufen bei der Gestaltung von Schultagen
- Entwicklung von weiteren tragenden Ebenen der Zusammenarbeit mit den Elternhäusern
- Weiterentwicklung und Beobachtung der Bedeutung des sozialen Miteinander im Kollegium und im Schul-Ganzen
Kontakt: Claus-Peter Röh, claus-peter.roeh[at]goetheanum.ch